Wir sind ein Mitgliederverband, der für eine sozial gerechte Gesellschaft kämpft und
politisch Einfluss nimmt. Dieses Ziel verfolgen wir mit ehrenamtlichem Engagement und
professionellen Dienstleistungen.
Die Arbeiterwohlfahrt beteiligt sich in allen gesellschaftlichen Bereichen und auf
allen politischen Ebenen an Entscheidungsprozessen. Als Spitzenverband der Freien
Wohlfahrtspflege wirkt sie insbesondere an der Gestaltung der Sozialpolitik und bei der
Lösung sozialer Probleme mit und nimmt Einfluss auf die Sozialgesetzgebung. Die
Arbeiterwohlfahrt betont dabei den Vorrang der staatlichen und kommunalen Verantwortung
für die Erfüllung des Anspruchs auf soziale Hilfen, auf Erziehung und Bildung sowie für
die Planung und Entwicklung eines zeitgerechten Systems sozialer Dienste und
Einrichtungen.
Sie fördert staatsbürgerliche Verantwortung und mitbürgerliche Gesinnung.
Die Arbeiterwohlfahrt unterstützt und fördert den Selbsthilfegedanken und die
Selbsthilfebewegungen. Sie versteht sich weiter als sozialpolitische Interessenvertretung
aller Menschen, insbesondere jener, die sich allein kein Gehör verschaffen können.
Ehrenamtlich und hauptamtlich Tätige arbeiten hierbei kollegial zusammen.
Wir fördern demokratisches und soziales Denken und Handeln. Wir haben
gesellschaftliche Visionen.
Wir bekennen uns zur freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung. Ihre Existenz
ist eine zwingende Voraussetzung für unsere Arbeit. Ihre Prinzipien sind unverzichtbare
Grundlagen unseres Handelns. Entsprechend ist die Arbeiterwohlfahrt vereinsrechtlich
organisiert, demokratisch und föderativ aufgebaut; die verbandspolitische Willensbildung
geht von den Mitgliedern aus. In unseren Verbandsgliederungen, Einrichtungen und
insbesondere innerhalb unseres Kinder- und Jugendverbandes, dem AWO-Jugendwerk, eröffnen
wir Kindern, Jugendlichen und sozial engagierten jungen Erwachsenen eigenständige
Betätigungs- und Beteiligungsrechte.
Wir fördern eine neue Kultur, einen neuen Gesellschaftsvertrag für das friedliche und
solidarische Zusammenleben und Zusammenwirken der Menschen in allen gesellschaftlichen
Bereichen. Wir entwickeln Alternativen zu übersteigerten Formen des Individualismus im
gesellschaftlichen Leben. Dafür wollen wir den ganzen Einsatz unserer Einrichtungen,
Dienste, unserer Mitglieder und unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen.
Wir unterstützen Menschen, ihr Leben eigenständig und verantwortlich zu gestalten
und fördern alternative Lebenskonzepte.
Maßstab für das Handeln der Arbeiterwohlfahrt sind die Lebenslagen, Bedürfnisse,
Erwartungen und eigenen Möglichkeiten der Menschen. Wer mit einem Anliegen zu uns kommt,
bleibt in der Selbstverantwortung für sein Handeln. Wir beraten und unterstützen mit dem
Ziel, die Eigeninitiative zu erhalten und zu stärken. Wir helfen Menschen, ihre
persönliche Lebensplanung zu entwickeln und den dafür geeigneten Weg zu finden.
Wir praktizieren Solidarität und stärken die Verantwortung der Menschen für die
Gemeinschaft.
Wir stehen für solidarische Hilfe zur Selbsthilfe. Wir gewähren Rat, Unterstützung
und Hilfen, unabhängig von ethnischer Herkunft, Nationalität, Religion, Weltanschauung
oder Geschlecht. Die Arbeiterwohlfahrt wendet sich Menschen zu, die Hilfe und
Unterstützung in gelebter Solidarität benötigen. Die Arbeiterwohlfahrt schafft die
Voraussetzungen für tätige Mitarbeit in der Gesellschaft durch freiwilliges Engagement.
Wir bieten soziale Dienstleistungen mit hoher Qualität für alle an.
Fachliches und kompetentes Handeln und Verlässlichkeit in unseren Entscheidungen sind
unverzichtbar. Sie bestimmen den Erfolg, das Ansehen und die Glaubwürdigkeit des
Verbandes in der Öffentlichkeit, bei den Mitgliedern und den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern.
Für ihren humanitär-politisch begründeten Beitrag zum Sozialstaat bedarf die
Arbeiterwohlfahrt des kooperativen Zusammenwirkens von ehren- und hauptamtlicher Arbeit.
Beide Bereiche sind gleichbedeutend und profitieren voneinander. Dafür müssen geeignete
Regeln und Arbeitswege geschaffen und beachtet werden. Die Förderung des ehrenamtlichen
Bereichs dient der Zukunftssicherung der Arbeiterwohlfahrt.
Wir handeln in sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer und internationaler
Verantwortung und setzen uns nachhaltig für einen sorgsamen Umgang mit vorhandenen
Ressourcen ein.
Der Arbeiterwohlfahrt sind die Zusammenhänge zwischen Sozialem, Bildung, Wirtschaft,
Gesundheit und Umwelt auch im globalen Maßstab bewusst.
Wirtschaftliche Stabilität ist für uns eine wichtige Grundlage des sozialen
Zusammenhalts in der Gesellschaft. Daher erwarten wir von den Verantwortlichen in
Wirtschaft und Politik, dass sie bei ihren Entscheidungen die Belange der Menschen in den
Vordergrund stellen.
Die Arbeiterwohlfahrt fördert die internationale Zusammenarbeit mit dem Ziel eines
friedlichen Zusammenlebens der Völker. Außerdem wollen wir mithelfen, die
wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen und in ihrer Globalisierung sozial beherrschbar
zu machen. Bausteine dazu sind unsere aktive Mitgliedschaft in den internationalen
Zusammenschlüssen der Arbeiterbewegung wie "SOLIDAR", "AWO
International" und unsere Projekte in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.
Auch in der Verbandsarbeit und bei unserer wirtschaftlichen Tätigkeit folgen wir einer
nachhaltigen Umwelt-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik.
Wir wahren die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit unseres Verbandes; wir
gewährleisten Transparenz und Kontrolle unserer Arbeit.
Wir handeln wirtschaftlich und machen unsere Arbeit durchschaubar.
Die Arbeiterwohlfahrt als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege arbeitet nach
betriebswirtschaftlichen Grundsätzen und fachlichen Standards. Sie bewertet ihren Erfolg
aber nicht allein an den Betriebsergebnissen.
Für die Arbeiterwohlfahrt steht der Mensch im Mittelpunkt. Bei allen
betriebswirtschaftlichen Erfordernissen sind für uns die soziale Verantwortung und die
Orientierung am Gemeinwesen bestimmend. Die Betriebswirtschaft hat dienende Funktion.
Ihre Aktivitäten finanziert die Arbeiterwohlfahrt aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden,
öffentlichen Zuwendungen und Entgelten für Dienstleistungen. Wir kontrollieren deren
sachgerechte und rechtmäßige Verwendung durch interne und externe Prüfungen und
Beratungen. Wir legen regelmäßig auch der Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft über
unsere Tätigkeit ab.
Wir entlassen die öffentliche Hand nicht aus ihrer Verantwortung für die
Grundsicherung der sozialen Arbeit.
Wir sind fachlich kompetent, innovativ, verlässlich und sichern dies durch unsere
ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Arbeiterwohlfahrt legt großen Wert auf die stetige fachliche und persönliche
Entwicklung ihrer ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch interne
und externe Qualifizierungsmaßnahmen. Sie motiviert zum ehrenamtlichen Mitarbeiten,
fordert Einsatz und fördert Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft. Bei der
Weiterentwicklung und Erneuerung des Verbandes wird die Mitarbeiterschaft beteiligt.
Unsere Arbeitsstrukturen gestalten wir kooperativ, human, funktional und wirtschaftlich.
Nur wenn diese Ansprüche in der Praxis umgesetzt werden, können sich Mitglieder und
ehren- und hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Verband identifizieren.
Anmerkungen
Die Arbeiterwohlfahrt ist unter den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege auf Grund
ihrer Geschichte und ihres gesellschaftspolitischen Selbstverständnisses ein
Wohlfahrtsverband mit besondere Prägung. In ihr haben sich Frauen, Männer und junge
Menschen als Mitglieder und als ehren- und hauptamtlich Tätige zusammengefunden, um in
unserer Gesellschaft bei der Bewältigung sozialer Probleme und Aufgaben mitzuwirken und
um den demokratischen, sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen.
Die politischen Veränderungen in der Welt, vor allem die Öffnung der Grenzen nach
Osteuropa, die wiedergewonnene deutsche Einheit und der europäische Einigungsprozess sind
Anlass, das seit 1987 geltende Grundsatzprogramm der Arbeiterwohlfahrt neu zu gestalten.
Damit sollen die Identität der Arbeiterwohlfahrt und die Gemeinsamkeit der in ihr
wirkenden Menschen und Einrichtungen gestärkt werden. Neben einer zeitgemäßen
Standortbestimmung will das Grundsatzprogramm zum kritischen Dialog in Staat und
Gesellschaft beitragen und die innerverbandliche Diskussion fördern.
Es gibt erhebliche Umbrüche in unserem Lande, und der spürbare Veränderungsprozess
hat viele der vertrauten Strukturen verändert - in der Familie, in den sozialen Bindungen
zwischen Alt und Jung, Frauen und Männern, in der Arbeitswelt und in der Freizeit. Viele
dieser Entwicklungen sind durch die Einflüsse moderner Technik ausgelöst und
beschleunigt worden und können bestimmen weitgehend unser Leben. Sie führen auch zu
Ängsten und Belastungen, bei deren Bewältigung und Überwindung die Menschen Hilfe
benötigen.
Auch die gesamtdeutsche Entwicklung ist nicht frei von Schwierigkeiten für Menschen
und ihre Lebensbedingungen. Vor allem sind die neuen Länder wegen ihrer historisch
begründeten unterschiedlichen Entwicklung davon betroffen. Die hierfür erforderlichen
Hilfen stellen noch für viele Jahre eine besondere Aufgabe und Herausforderung für die
gesamte Gesellschaft dar.
Durch eine falsche Politik hat sich in den 90er Jahren eine Finanzkrise der
öffentlichen Hände aufgebaut, die negative Folgewirkungen auf die sozialen
Dienstleistungen und die sozialen Sicherungssysteme hat. Schrittweise wurde die soziale
Sicherung für viele Menschen verringert, zugleich sind dem System marktwirtschaftliche
Prinzipien verordnet worden, die dem Anspruch auf solidarisches Verhalten nicht gerecht
wurden.
Begleitet von Harmonisierungsbestrebungen im europäischen Einigungswerk nimmt der
sozialpolitische Veränderungsprozess gravierende unsolidarische Formen an. Die
Arbeiterwohlfahrt wird diesen Vorgängen nicht tatenlos zusehen, sondern aktiv darauf
hinwirken, dass soziale Gerechtigkeit und Solidarität Kernpunkte des Handelns im
Sozialstaat sind.
In Zusammenarbeit mit anderen verantwortungsbewusst arbeitenden Gruppen und
Organisationen wird die Arbeiterwohlfahrt notwendige Reformprozesse mitgestalten, um die
sozialen Aufgaben auch für die Zukunft tragfähig zu halten. Dabei werden eine Reihe von
Fragen geklärt werden müssen, die für die gesellschaftlichen wie für die
innerverbandlichen Entscheidungen von grundlegender Bedeutung sind. Dazu gehören die
Organisations- und Rechtsstrukturen des Verbandes ebenso wie die effiziente Gestaltung und
Abgrenzung der ehren- und hauptamtlichen Arbeit, die Antworten auf die
gesellschaftspolitischen Veränderungen und Reformen sowie die Zusammenarbeit mit anderen
Partnern in der nationalen und internationalen sozialen Arbeit. Die Freie Wohlfahrtspflege
muss sich durch eine nachhaltige Modernisierung ihrer Strukturen als unverwechselbarer,
wertgebundener und nicht-gewinnorientierter Anbieter kompetenter sozialer Dienstleistungen
profilieren.
Es bleibt die Verantwortung von Politik und Staat, sozialstaatliche Aufgaben zu
erfüllen und dazu auch die Vorrangstellung für einen frei-gemeinnützigen dritten Sektor
zu erhalten und seine Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln.
Trotz notwendiger Veränderungen im Hinblick auf wirksame Hilfestrukturen und
kostenbewusstes Handelns dürfen soziale Dienstleistungen nicht dem freien Spiel von
marktwirtschaftlichen Kräften preisgegeben werden. Sie haben sowohl hohen fachlichen
Qualitätsstandards als auch unseren eigenen Wertmaßstäben gegenüber Hilfe und
Unterstützung suchenden Menschen zu entsprechen. Soziale Kälte und kommerzieller
Konkurrenzkampf dürfen die soziale Arbeit nicht prägen. Dennoch sind soziale
Dienstleistungsangebote auch betriebswirtschaftlich zu gestalten. Darauf müssen sich die
Verantwortlichen im Verband einstellen.
Zugleich legt dieses Grundsatzprogramm fest, dass die Strukturen des
Mitgliederverbandes im wesentlichen erhalten bleiben und wie bisher auf der Basis des
Vereinsrechts organisiert werden.
Es bleibt somit bei der "Verbandslösung", das heißt, die
verbands-demokratisch strukturierten Gliederungen der Arbeiterwohlfahrt sind die
Entscheidungsträger für die innerverbandliche ebenso wie für die unternehmerische
Arbeit. Der Vereinsvorstand ist verantwortlich für beide Aufgabenbereiche.
Neben der bisherigen Möglichkeit, die hauptamtliche Geschäftsführung als besonderen
Vertreter des Vereins für bestimmte (personelle, wirtschaftliche und verwaltungsmäßige)
Aufgabenbereiche zu bestellen, wird in diesem Grundsatzprogramm eine weitere
zukunftsweisende Alternative vorgestellt. Mit ihr soll die haftungsrechtliche
Verantwortung des Vorstands geregelt werden, indem die ehrenamtlichen Vorstände für die
ihnen zugeordneten Aufgaben innerhalb des Mitgliedervereins und sozialpolitischen
Interessenverbandes zuständig sind, während das geschäftsführende hauptamtliche
Vorstandsmitglied in vollem Umfang für den ihm zur alleinigen Entscheidung übertragenen
Bereich haftet. Damit wird die Arbeit ehrenamtlicher Vorstandsmitglieder zwar nicht von
der Grundverantwortung befreit, aber von der Mitverantwortung bei den laufenden
Geschäftsaufgaben entlastet.
Mit einer Modernisierung ihrer Verbandsstrukturen will die Arbeiterwohlfahrt soziales
Engagement und solidarisches Miteinander beleben und ihre sozialen Dienstleistungen
qualitätsbewusst weiterentwickeln. Das neue Grundsatzprogramm soll dazu Richtschnur sein
und zugleich ein anschauliches Bild von den gesellschaftsgestaltenden Absichten der
Arbeiterwohlfahrt vermitteln.
Beschluss der Sonderkonferenz, November 1998