WALDHEIM MÄULESMÜHLE 1978
Aus der Filderzeitung vom 23. Juni 1978
An einem Brunnen wird selbst das Händewaschen zum
Vergnügen,
aber selbstverständlich lassen sich die kleinen
"Mühlenbewohner"
manchmal auch noch andere "Wasserspiele" einfallen.
FZ-Fotos: Fuchs
Zwang wird niemals ausgeübt
Erlaubt ist, was gefällt
65 Kinder verbringen Waldheimferien in der Mäulesmühle
LEINFELDEN-ECHTERDINGEN (ib) Im Wald steht eine Mühle, und hinter der Mühle rauscht ein Bach, und hinter dem Bach ist ein Hang, und
auf dem Hang liegt so wunderschön viel Dreck, und in dem Dreck tummeln sich
mit Vorliebe eine fröhliche Kinderschar nach dem Motto: Erlaubt ist, was gefällt.
Denn: Die kleinen Mädchen und Buben können sich auf ihren „Onkel Helmut"
verlassen. Er versteht sich aufs Waschen und hat die seltene Gabe, ohne Murren erdfarbenen Hosen in Minutenschnelle ihre natürliche Farbe wiederzugeben und
sensiblen Müttern Verzweiflungsausbrüche zu ersparen. Und wer sind nun die
glücklichen Kinder, die so einen netten und gutmütigen „Onkel" besitzen? 65
Mädchen und Jungen im Alter von sechs bis zwölf Jahren» die zur Zeit in der
Mäulesmühle unbeschwerte Ferientage verleben dürfen.
Schon zum 5. Mal verbringen Kinder
aus allen vier Stadtteilen der Stadt Leinfelden-Echterdingen auf Initiative von
Helmut Schärich alias „Onkel Helmut" ihre
Ferien in der Mäulesmühle. Gebäude und
Gelände hat die Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt, Träger ist der Ortsverein
Leinfelden-Echterdingen der Arbeiterwohlfahrt.
Gestern konnten die kleinen Feriengäste sogar „hohen Besuch" empfangen.
Oberbürgermeister Walter Schweizer fand
sich höchst persönlich im Siebenmühlental
ein, und weil er nicht gerne allein ausgeht, begleiteten ihn die Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderats, die sonst
immer hinter Aktenbergen brüten und endlose Diskussionen führen müssen und denen so ein Abstecher ins Grüne auch
einmal ganz gut tut. Aber die prominenten
Herren hatten selbstverständlich die Akten zuhause gelassen, und der Oberbürgermeister brachte — wie sich das bei einem
Besuch gehört — sehr hübsche Geschenke
für die kleinen Leute mit: Perlen, und
Buntstifte, und dafür wurden er und die
Abordnung der Stadtverwaltung höchst
offiziell mit dem "Waldheimorden" ausgezeichnet.
Die Mädchen und Jungen sind in einzelne Gruppen aufgeteilt und verbringen
ihre Ferientage im Siebenmühlental bei
Sport und Spiel, mit Bauen, Basteln und
Malen. Langeweile kennen sie nicht.
"Alles klappt glänzend"
Auch über besondere Schwierigkeiten
mit den kleinen Feriengästen können weder die Leiterin Marianne Becker noch
Helmut Schärich klagen: „Nachdem der
Schulstress überwunden ist, so meint er, "klappt alles glänzend." Die 6- bis 12jährigen nehmen alle ohne Ausnahme mit
großem Vergnügen am täglichen Frühsport teil, akzeptieren ohne Murren die
zweistündige Mittagsruhe, bauen mit Vorliebe wie echte Pfadfinder im Wald ihr
Lager und freuen sich auf die Ausflüge
zur Hauhütte, zum Sport- und Freizeitzentrum Leinfelden oder zum Aktivspielplatz Musberg. Auch das Grillen gehört
zu den begehrten Abwechslungen bei diesem Waldheimaufenthalt.
Die Kinder dürfen zudem unter besonderen Neigungsgruppen ihre Wahl treffen,
dort wird gemalt, gebastelt und modelliert,
kurz, der Phantasie sind keine Grenzen
gesetzt. Und die zahlreichen Bilder an den
Wänden der Theaterscheune und die Tonfiguren auf den niederen Regalen liefern
den deutlichen Beweis, dass sich hier In'
der Stille so manches Talent entwickeln'
kann. Allerdings, und Helmut Schärich
betont es deutlich, „Zwang wird bei uns
niemals ausgeübt, die Kleinen sollen mit Freude an die Arbeiten herangehen".
33 Mark pro Woche
Die Verpflegung für die 65 Kinder in
der Mäulesmühle liefert das Altenheim
Sonnenhalde in Musberg. Die Kosten für
ein Kind betragen pro Woche 33 Mark,
einen Zuschuss von 1,50 Mark steuert die
Stadt und das Land täglich für jedes
Kind bei, für die Differenz kommt die
Arbeiterwohlfahrt auf.
Und was sagen die jugendlichen „Mühlenbewohner" zu ihrem Feriendomizil?
Martina findet das Spielen mit so vielen gleichaltrigen Kameraden „einfach
prima", weil sie zuhause so viel allein ist;
„Meine Freundin hat oft keine Zeit", und
Peter genießt die neugewonnene Freiheit
in vollen Zügen: „Nur schade, dass die
Ferien immer so kurz sind," meint er
und wendet sich rasch wieder seinen
Freunden zu, in dem emsigen Bemühen,
die Schule endgültig zu vergessen.
Die Kinder in der Mäulesmühle empfingen gestern die prominentesten
Vertreter der Stadtverwaltung Leinfelden-Echterdingen. Und sie wussten offenbar
die hohe Ehre zu schätzen, denn sie zeichneten die Herren ohne Zögern sogleich
mit dem Waldheimorden aus. Oben OB Schweizer, Erster Bürgermeister Breitling
mit Vertretern der Gemeinderatstraktionen.