Weimarer Nationalversammlung - 19.02.1919
Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland
Der
19. Februar 1919, ein Mittwoch, zählt zu den denkwürdigen Tagen der deutschen
Parlamentsgeschichte. Marie Juchacz, Gründerin der AWO, hält die erste Rede
einer Frau in einem demokratisch gewählten Parlament in Deutschland.
Zum ersten Mal wurde in einem deutschen Parlament, in der verfassungsgebenden
deutschen Nationalversammlung, eine Frau als Abgeordnete "zum Wort
aufgerufen", wie die Zeitungen damals berichteten. Einen Monat zuvor
war das Frauenwahlrecht Gesetz geworden. Marie Juchacz war eine von 41 Parlamentarierinnen bei 423 Abgeordneten der
Weimarer Nationalversammlung. Zehn Monate nach ihrer Parlamentsrede gründete Marie Juchacz am 13. Dezember
1919 die Arbeiterwohlfahrt.
Die Rede der Reichstagsabgeordneten Marie Juchacz im Wortlaut:
Juchacz, Abgeordnete. Meine Herren
und Damen! (Heiterkeit). Es ist das erstemal, dass in Deutschland die Frau
als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier
feststellen, und zwar ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die
auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat. (Sehr richtig! bei den
Soz.) Die Frauen besitzen heute das ihnen zustehende Recht der Staatsbürgerinnen.
Gemäß ihrer Weltanschauung konnte und durfte eine vom Volke beauftragte
sozialistische Regierung nicht anders handeln, wie sie gehandelt hat. Sie hat
getan, was sie tun musste, als sie bei der Vorbereitung dieser Versammlung die
Frauen als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen anerkannte. (Sehr richtig! bei
den Soz.)
Ich möchte hier feststellen und glaube damit im Einverständnis vieler zu
sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser
Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese
Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen
gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist. (Sehr richtig!
bei den Soz.)
Wollte die Regierung eine demokratische Verfassung vorbereiten, dann gehörte
zu dieser Vorbereitung das Volk, das ganze Volk in seiner Vertretung. Die Männer,
die dem weiblichen Teil der deutschen Bevölkerung das bisher zu Unrecht
vorenthaltene Staatsbürgerrecht gegeben haben, haben damit eine für jeden
gerecht denkenden Menschen, auch für jeden Demokraten selbstverständliche
Pflicht erfüllt. Unsere Pflicht aber ist es, hier auszusprechen, was für immer
in den Annalen der Geschichte festgehalten werden wird, dass es die erste
sozialdemokratische Regierung gewesen ist, die ein Ende gemacht hat mit der
politischen Unmündigkeit der deutschen Frau. (Bravo! bei den Soz.) Durch die
politische Gleichstellung ist nun meinem Geschlecht die Möglichkeit gegeben zur
vollen Entfaltung seiner Kräfte. Mit Recht wird man erste jetzt von einem neuen
Deutschland sprechen können und von der Souveränität des ganzen Volkes. Durch
diese volle Demokratie ist aber auch zum Ausdruck gebracht worden, dass die
Politik in Zukunft kein Handwerk sein soll. Scharfes, kluges Denken, ruhiges Abwägen
und warmes menschliches Fühlen gehören zusammen in einer vom ganzen Volke gewählten
Körperschaft, in der über das zukünftige Wohl und Wehe des ganzen Volkes
entschieden werden soll.
Der Herr Ministerpräsident hat in seinem Regierungsprogramm einen Ausblick
gegeben für unser Arbeiten in der Zukunft. Er hat aber auch zu gleicher Zeit
einen besonderen Ausblick gegeben für das Wirken der Frauen im neuen
Deutschland. Er hat uns weite hoffnungsvolle Perspektiven gegeben für unser
Arbeiten. Ich möchte hier sagen, dass die Frauenfrage, so wie sie jetzt in
Deutschland, in ihrem alten Sinne nicht mehr besteht (Sehr richtig! bei den
Soz.), dass sie gelöst ist. Wir werden es nicht mehr nötig haben, mit
Versammlungen, mit Resolutionen, mit Eingaben um unser Recht zu kämpfen. Der
politische Kampf, der immer bestehen bleiben wird, wird sich von nun an in
anderen Formen abspielen. Innerhalb des durch Weltanschauung und selbstgewählte
Parteigruppierungen gezogenen Rahmens haben wir Frauen nunmehr Gelegenheit,
unsere Kräfte auswirken zu lassen.
Aber damit begeben wir uns nun keineswegs des Rechts, andersgeartete
Menschen, weibliche Menschen zu sein. Es wird uns nicht einfallen, unser
Frauentum zu verleugnen, weil wir in die politische Arena getreten sind und für
die Rechte des Volkes mitkämpfen. (Bravo! bei den Soz.) Kein Punkt des neuen
Regierungsprogramms ist da, an dem wir sozialdemokratischen Frauen ohne
Interesse wären.
Ich begrüße es ganz besonders, dass im Regierungsprogramm bekundet wird,
dass auch das Verwaltungswesen demokratisiert werden soll, so dass in Zukunft den
Frauen auch Gelegenheit gegeben sein wird, mit in alle offenstehende Ämter
einzutreten. (Sehr richtig! Links)
Ich betrachte den Punkt des Arbeitsprogramms, der da sagt: Heranziehung der
Frauen zum öffentlichen Dienst, entsprechend den auf allen Gebieten vermehrten
Frauenaufgaben, nur als eine Konsequenz des jetzt gegebenen Zustandes. (Sehr
richtig! links.) Ich bringe diesem Passus durchaus kein Misstrauen entgegen,
sondern betrachte es als eine Selbstverständlichkeit, dass auch in der neuen
Verfassung, die wir mit schaffen helfen werden, die Frau als gleichberechtigte
und freie Staatsbürgerin neben dem Manne stehen wird. Ich wünsche ganz
besonders, dass bei den jetzt schon fälligen Aufgaben im Verwaltungswesen die
Frauen mit herangezogen werden, und denke dabei in allererster Linie an eine
Stelle, die nach meinem Dafürhalten im Arbeitsamt des Reiches einrichtet werde müsste, wo Frauen selbständig arbeiten, bei der Witwen- und Waisenfürsorge,
bei der Regelung der Fürsorge für Kriegshinterbliebene. (Sehr richtig! bei den
Soz.) Das ist ein Gebiet, in welches die Frauen einfach hineinpassen und
hineingehören nach ihrer ganzen Veranlagung und wo sie für das Wohl das Volkes
Ersprießliches leisten können.
Wir Frauen werden mit ganz besonderem Eifer tätig sein auf dem Gebiet des
Schulwesens, auf dem Gebiet der allgemeinen Volksbildung, und ich glaube, hier
aussprechen zu dürfen, dass die Mütter es ganz besonders begrüßen müssen, dass
auch nun wir Frauen Gelegenheit haben werden, unsere Kinder den
Bildungsanstalten zuzuführen, welche das neue Deutschland ihnen öffnen wird.
Die gesamte Sozialpolitik überhaupt, einschließlich des Mutterschutzes, der
Säuglings- und Kinderfürsorge, wird im weitesten Sinne Spezialgebiet der
Frauen sein müssen. Die Wohnungsfrage, die Volksgesundheit, die Jugendpflege,
die Arbeitslosenfürsorge sind Gebiete, an denen das weibliche Geschlecht
besonders interessiert ist und für welche das weibliche Geschlecht ganz
besonders geeignet ist. (Sehr richtig! links)
Hier möchte ich einflechten und glaube, damit einem Wunsche weiter großer
Kreise Ausdruck zu geben: es ist jetzt schon im Moment bitter notwendig, dass die Bezüge unserer Alters- und Invalidenrentner aufgebessert werden. (Sehr
richtig! links.) Es ist absolut keine Kategorie von Menschen da, die so unter
der Not des Krieges, unter dem Elend, den Folgeerscheinungen des Krieges leiden muss, wie diese Ärmsten und Bedauernswerten (Erneute Zustimmung links.).
An einem gesunden Aufbau unseres Wirtschaftslebens sind wir Frauen
gleicherweise interessiert wie die Männer und jede einzelne Frau wird in ihrer
Partnergruppe nach ihrer Weltanschauung das Beste dazu geben, dass wir wieder zu
einer Gesundung unseres Wirtschaftslebens kommen. Wissen doch gerade wir Frauen
und Mütter am besten, was auf dem Spiele steht, wenn es uns nicht gelingt, uns
wieder aus diesem Elend zu erheben, in dem wir uns jetzt befinden. (Sehr
richtig! bei den Soz.)
Wir Frauen sind uns sehr bewusst, dass in zivilrechtlicher wie auch in
wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die Gleichberechtigten
sind. Wir wissen, dass hier noch mit sehr vielen Dingen der Vergangenheit aufzuräumen
ist, die nicht von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen sind. Es wird hier
angestrengtester und zielbewusstester Arbeit bedürfen, um den Frauen im
staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Leben zu der Stellung zu verhelfen, die
ihnen zukommt.
Zu all diesen Dingen, die wir uns vorstellen, hat die Umgestaltung unserer
Staatsform zur Demokratie uns die Wege geöffnet. Jetzt heißt es, diese Wege zu
beschreiten und das zu schaffen, was zum Glück unseres Volkes in der Zukunft
notwendig ist. Zum Glück dieses Volkes, zur vollen Befreiung des Volkes ist
aber notwendig, dass alle Parteien wissen, worauf es in jeder Stunde ankommt,
und da möchte ich ganz besonders sagen, dass wir den Zug der Zeit nicht
aufhalten dürfen, dass wir nicht bremsen dürfen, sondern immer mit vorwärts schreiten
müssen, dass wir den Strömungen der Zeit ein psychologisches Verständnis
entgegenbringen müssen.
Diese Strömungen, die aus der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung
geboren werden, sind lange genug mit Gewalt, mit starrer Gewalt, die in unserem
alten System wurzelte, zurückgehalten worden und konnten nicht zur Entfaltung
kommen, bis es explodierte. Es ist hier in der politischen Debatte so manches
gesagt worden, was mich zum Widerspruch reizte und zum Nachdenken gebracht hat.
Herr Graf v. Posadowsky hat zum Beispiel hier die Frage gestellt: Was ist
unter Junkernherrschaft zu verstehen? (Lachen bei den Soz.) Das weiß alle Welt
(Sehr richtig! bei den Soz.) mit Ausnahme einer ganz kleinen Gruppe, die sich
bisher gegen dieses Wissen verschlossen hat. (Erneute Zustimmung bei den Soz.)
Ich möchte Herrn Graf v. Posadowsky-Wehner den Rat geben, einmal bei den
deutschen Frauen anzufragen, was man unter den Junkern bisher in Deutschland
verstanden hat und auch noch heute versteht. Dieses freieste Wahlrecht, unter
dem diese Nationalversammlung gewählt worden ist, hat die Stärke der Gruppe
des Herrn Grafen v. Posadowsky und seiner Freunde gezeigt, und wir alle wissen -
und es hat mich gewundert, dass es niemand bisher hier gesagt hat - , dass auch
unter dem demokratischen Wahlrecht zum Deutschen Reichstag es nicht möglich
gewesen ist, der Volksmehrheit so zu ihrem Rechte zu verhelfen, wie es
eigentlich hätte sein müssen, weil unsere Auffassung das nicht zugelassen hat.
Der Einfluss der Junker war stets stärker, als er ihnen zahlenmäßig gebührte.
(Glocke des Präsidenten).
Es ist weiter von Herrn Graf v. Posadowsky gefragt worden, warum wir uns
diesen Waffenstillstand haben gefallen lassen. Die Antwort ist bisher in diesem
Hause schon gegeben worden, aber ganz kurz will ich meine Meinung dazu sagen.
Der Herr Graf v. Posadowsky und seine Freunde wissen ganz genau, warum wir uns
diesen Waffenstillstand gefallen lassen müssen. (Sehr richtig! bei den Soz.)
Weil dieser Krieg durch ihre Politik bis zum moralischen Zusammenbruch unseres
Volkes geführt hat. (Lebhafte Zustimmung bei den Soz. - Zurufe rechts:
Weltrevolution) Und die Revolution! Ja, meine Herren, Sie werden diese
Revolution nicht verstehen, Sie werden sie niemals buchen als das, was sie ist,
eine geschichtliche Tatsache, die herauswachsen musste aus den Verhältnissen,
zu denen Sie getrieben haben. (Zustimmung bei den Soz. - Zurufe rechts)
Wilsons Urteil früherer Zeit ist hier angeführt worden. Warum wird es dann
nicht in Vergleich gestellt mit dem, was Wilson jetzt sagt? Das ist doch das Maßgebende,
dass er nicht verhandeln und nicht Frieden schließen wollte mit einer
Regierung, die nicht aus der Demokratie hervorgegangen ist. (Sehr gut! bei den
Soz. - Zurufe rechts.) Nicht, was vor vier Jahren gesagt worden ist, sondern was
gesagt wurde mit Bezug auf die heutigen Zustände, das ist das Maßgebende, nach
dem man sich richten muss.
Es ist die Frage gestellt worden, woher denn plötzlich die vielen Feinde
gekommen seien, mit denen Deutschland zu rechnen hatte. Es ist gesagt worden,
der Deutsche sei vor dem Kriege geehrt und geachtet gewesen. Ja, eine
Gegenfrage: War das nicht Selbsttäuschung, sind diese Feinde nun plötzlich aus
dem Boden herausgewachsen, nachdem der Krieg da war, oder ist es nicht
vielleicht so, dass das, was gedacht und gefühlt worden ist, nunmehr zum
Ausdruck kam? Preußen-Deutschland hatte keine Sympathien im Ausland (Sehr
richtig! bei den Soz.), das hat uns der Krieg gezeigt. Wenn wir dafür sorgen
helfen, dass Deutschland wieder zu vernünftigen Zuständen kommt, dass Deutschland wieder das Land wird, in dem alle seine Bewohner Gerechtigkeit genießen
und sich wohlfühlen können, wenn wir aufgrund demokratischer Verhältnisse zu
anderen Zuständen kommen, als wir sie heute haben (ironische Zurufe rechts:
Sehr richtig!), vielleicht ist es dann einmal möglich, eine geachtete Stellung
im Ausland zu bekommen (Zurufe rechts), aber mit einer ganz anderen Politik, als
sie unter dem alten Regiment mit Ihrer Hilfe gemacht worden ist. (Sehr richtig!
bei den Soz.)
Herr Graf Posadowsky sagte, die staatliche Ordnung wäre jetzt gestört, alle
öffentliche Ordnung läge darnieder. Mord, Raub, Plünderung, Diebstahl,
Verbrechen aller Art wären an der Tagesordnung. (Lebhafte Zurufe: Sehr richtig!
Rechts.) Wie war es denn im Kriege? Hat denn das alte Regiment vermeiden können,
dass täglich neue Plakate an die Litfaßsäulen unserer Großstädte geschlagen
wurden, worin 100 000, 50 000, 20 000 und 10 000 Mark Belohnung ausgesetzt
wurden für Diebe, Räuber, Mörder aller Art. Ist das eine Erscheinung, die
erst jetzt aus den revolutionären Zuständen herausgewachsen ist, oder ist es
nicht vielleicht so, dass wir all diese schlimmen Zustände infolge des
Kriegselends bekommen haben? (Sehr richtig! bei den Soz.)
Schon zu Anfang des Krieges und während der Kriegsjahre sind ganze Postzüge
ausgeraubt worden, und es ist begreiflicherweise nicht alles, was geschehen ist,
in die Zeitungen gekommen. Aber all das ist unter dem alten Regiment geschehen.
Ich verwahre mich von vornherein ganz stark dagegen, dass ich etwa unsere
Beamtenschaft verunglimpfe, wenn ich hier feststelle, dass auch Beamte an dieser
Ausplünderung ganzer Eisenbahnwaggons mit beteiligt waren. Ich will nur
feststellen, dass sich auch unter dem alten Regiment Raub, Mord, Diebstahl und
Verbrechen aller Art in so erschreckender Weise gehäuft haben (Sehr wahr! bei
den Soz. - Widerspruch rechts), dass wir wirklich nicht mit Stolz auf die vier
Kriegsjahre zurückblicken können.
Ich werte alle diese Erscheinungen rein menschlich; sie sind geboren aus der
Not und dem Elend des Volkes. Der Krieg ist kein Jungbrunnen der Moral. (Sehr
richtig! bei den Soz.) Physisch und moralisch hat das Volk unter diesem Kriege
ganz ungeheuer gelitten und leidet heute noch unter seinen Folgeerscheinungen.
Deshalb soll man nicht wie ein Philister über die verschiedensten Taten, die
uns nicht gefallen, herziehen. Man soll von ihnen sprechen und auf Abhilfe
sinnen.
Von dem Herrn Grafen v. Posadowsky wurde auch die Unterdrückung der Presse
als etwas ganz Neues angeführt. Wir billigen die Unterdrückung der Presse von
heute durchaus nicht; das brauche ich nicht besonders festzustellen. Aber wo war
denn die Preßfreiheit während des Krieges? (Sehr gut! bei den Soz.) Wer
erinnert sich nicht der endlosen Zensurdebatten, die wir bis zum Überdruss in
den Zeitungen gelesen haben. Wir haben niemals einen Erfolg der vielen Proteste
zu sehen bekommen, bis das alte System zusammengebrochen ist. So lange hatten
wir auch die schimpfliche Knebelung der Presse auch in politischer Beziehung.
(Zurufe rechts: In den anderen Ländern war es schlimmer!) Die Zeitungen der
verschiedensten Richtungen, auch die Zeitungen Ihrer Partei (nach rechts) haben
ja bitter darüber Klage geführt. Deshalb mutet es heute ganz besonders an,
wenn gerade Herr Graf v. Posadowsky als Ihr Vertreter sich über die Knebelung
der Presse beklagt. Wir stellen die Freiheit der Presse und die Freiheit der
Versammlungen über alles.
Während des Krieges aber ist es hundertfach vorgekommen, dass
auch
Abgeordnete des Reichstags aufgefordert wurden, die Manuskripte ihrer Beiträge
in Versammlungen einzureichen, und dass sie mit einer Unmenge behördlicher
Schikanen kämpfen mussten. (Zustimmung bei den Soz.) Dem Tüchtigen freie Bahn,
das ist die Parole, die wir auch zu jeder Zeit anerkennen. Aber es ist in Preußen-Deutschland
nicht so gewesen, wie er Herr Graf v. Posadowsky es hier hat hinstellen wollen.
Wo waren denn die sozialdemokratischen Schöffen und Geschworenen, wo hatte man
den sozialdemokratischen Lehrer gefunden in dem Lande, in dem nicht einmal ein
sozialdemokratischer Nachtwächter angestellt werden konnte. Ein Aufatmen ist
durch die Reihen der Beamtenschaft und der Lehrer am 9. November gegangen. (Sehr
richtig! bei den Soz.) Das können wir am allerbesten beurteilen. Die Tausende
von Zuschriften, die wir bekommen haben, die vielen Anmeldungen für unsere
Bewegung (sehr richtig! bei den Soz.), die wir aus diesen Kreisen erhalten
haben, sind uns ein Beweis, und das Gros der Beamtenschaft zweifelt gar nicht
daran, dass sie unter der neuen Regierung und unter dem neuen System sich
zweifellos auch wirtschaftlich besserstehen werden.
Die Sozialdemokratie hat es in der Zeit ihres Wirkens, schon bevor sie eine
solche Machtstellung eingenommen hat wie heute, bewiesen, dass sie die
Interessen der Beamtenschaft wohl zu wahren weiß. (Sehr richtig! bei den Soz.)
Ähnlich verhält es sich mit dem Mittelstand. Die Beamtenschaft ist politisch
geknebelt worden, und die warmen Befürworter des Mittelstandes, sie haben ihre
Machtstellung in der Vergangenheit mit dazu benützt, auch den Mittelstand vor
ihren Wagen zu spannen, indem sie ihn wirtschaftlich in Fesseln schlugen. (Sehr
richtig! bei den Soz.) Die einfachen und mittleren Verhältnisse, aus denen die
höheren Staatsbeamten hervorgegangen sind, mit denen ist es auch nicht allzu weit
her. Ich habe nicht oft davon gehört, dass Söhne und Töchter von
Arbeitern und Taglöhnern in höhere staatliche Dienste genommen worden wären.
(Widerspruch rechts und Ruf: Beispiele.) Welche Geheimräte, welche Landräte,
welche Regierungspräsidenten, welche Staatssekretäre und Minister sind denn
unter dem alten System aus so einfachen Verhältnissen hervorgegangen? Können
Sie solche nennen? Ich bezweifle es.
Hatten wir Offiziere aus Arbeiterkreisen? Nein, die hatten wir nicht. (Rufe
rechts: Giesberts, Erzberger. - Heiterkeit) Es ist ja wunderbar, wie wir jetzt
von allen Seiten Helfershelfer für die sozialpolitischen Arbeiten bekommen, nur
sieht man bei all den Vorschlägen, die Sie (nach rechts) machen, sehr den
Pferdefuß. Es ist der ganzen Welt bekannt, dass es in unserem sozialpolitischen
Leben immer so gewesen ist, dass es uns nicht genug war, was geschehen, aber
Ihnen (nach rechts) stets zuviel. (Sehr richtig! bei den Soz.)
Wir Frauen können uns ja dessen nur freuen, wenn Sie jetzt plötzlich den
Hang verspüren, fruchtbare sozialpolitische Arbeit zu leisten. Wir können
dabei ja gar nicht genügend Bundesgenossen bekommen. Wenn alle Parteien bis zum
äußersten rechten Winkel hier den starken Willen zur Sozialpolitik bekunden,
dann kann es ja mit dieser Fortentwicklung in Deutschland nicht schlecht
bestellt sein. Ganz (?...?) mutet es mich an, als an die bürgerlichen Parteien
hier von dem Herrn Grafen das Ersuchen zum Zusammenschluss gerichtet wurde, nach
einem so starken Bekenntnis zur Monarchie. Ich habe die Ansicht, dass es ganz
konsequent ist nach diesem starken Bekenntnis zur Monarchie, wie es hier
abgelegt worden ist, dass Ihre Partei isoliert bleiben muss in diesem Hause.
Es ist selbstverständlich Sache der bürgerlichen Parteien selbst, sich
gerade dazu zu äußern, aber ich möchte hierbei doch sagen, da es ganz komisch
anmutete, und zwar roch es sehr stark nach der alten Kampfmaxime gegen die
Sozialdemokratie. Ich bin überzeugt, dass Sie sich keinen Augenblick bedenken würden,
die große Mehrheit des deutschen Volkes auch heute noch nach dem alten Muster
zu vergewaltigen, wenn Sie dazu die Macht hätten. (Sehr wahr! bei den Soz.) Ich
möchte noch einiges andere sagen.
Es ist hier von Herrn Haase einiges über die Politik der Unabhängigen
Sozialdemokratie ausgesprochen worden. Nach seinem Dafürhalten müssen wir
Deutsche stillhalten unter allen Umständen, auch wenn wir sehen, dass - und ich
gebrauche mit Absicht dieses so viel benutzte Schlagwort - die Errungenschaften
der Revolution kaputtgemacht werden, dass Preßfreiheit und Freiheit der Staatsbürger,
Versammlungsfreiheit vernichtet werden, dass der Demokratie mit
Maschinengewehren und bedrohlichen Umzügen das Grab gegraben wird. Dazu haben
wir nicht den Willen; das Bekenntnis zur Demokratie, welches ich im Anfang
meiner Ausführungen hier für uns eingelegt habe, verbietet es uns und macht es
uns grundsätzlich zur Unmöglichkeit, die Wege einzuschlagen, wie sie von jener
Seite beliebt werden. (Sehr richtig! und Bravo! bei den Soz.) Es muss noch
einmal festgestellt werden, obwohl es schon des öfteren geschehen ist, dass die
Unabhängige Sozialdemokratie die Spartakuspolitik unterstützt hat. (Sehr
richtig! bei den Soz.) Ich erinnere daran, dass zwischen dem 6. und 13. Januar
dieses Jahres, als die Presse in Berlin geknebelt war, die Aufrufe, die von der
Spartakusgruppe, von den revolutionären Obleuten und von der Unabhängigen
Sozialdemokratie unterzeichnet waren, die Volksgenossen, die Arbeiter zur
Bewaffnung aufgefordert haben. Ich meine, dass dieses mit dem vielen anderen
zusammengenommen, was hier gesagt worden ist, die Rechtfertigung dafür abgibt, dass
eine solche Politik von der Sozialdemokratie nicht gutgeheißen werden
kann, weil sie all dem widerspricht, was uns in den langen Jahren vor dieser
Zeit von den Führern und Führerinnen der Unabhängigen Sozialdemokratie gesagt
und gelehrt worden ist, die sich jetzt auf der anderen Seite befinden. (Sehr
wahr! bei den Soz.)
Es ist gesagt worden, in dem Programm der Regierung fehle jeder Tropfen
Sozialismus. Darauf möchte ich erwidern, dass es heißt, die Augen vor den
Realitäten des heutigen Lebens zu schließen. (Sehr richtig! bei den Soz. und
den Demokraten) Wir sind es der Arbeiterschaft einfach schuldig, eine solche
Politik zu verfolgen, wie wir es heute tun, weil wir es vor der Masse der
Arbeiter, vor den Männern und Frauen und vor unseren Kindern nicht verantworten
könnten, wenn wir durch eine derart verkehrte Politik, wie es von jener Seite
beliebt wird, dazu beitragen würden, dass alles das, was die Arbeiterschaft in
den ersten Novemberwochen sich errungen hat, die Freiheit des Staatsbürgers bis
zur letzten Konsequenz wieder verscherzt würde und dass damit dem Fortschritt
die Wege wieder verschlossen würden. (Sehr wahr! bei den Soz.)
Die befreiten Frauen Deutschlands sollten den Söhnen, Vätern, Brüdern,
Freunden, die sich in Feindesland befinden, heute hier von dieser Stelle ihre
herzlichen Grüße zurufen. (Bravo! bei den Soz.) Wir bedauern es aufs tiefste, dass
sie dort die ganzen seelischen und körperlichen Qualen der Gefangenschaft
durchmachen müssen, und wir bedauern die vielen Angehörigen hier in unserem
armen unglücklichen Deutschland, die auch heute noch bangen müssen um ihre
Lieben da draußen, denen der Krieg noch immer nicht zu Ende gegangen ist, weil
sie ihre Lieben noch nicht in die Arme schließen können, weil die Frauen, die
hier in Seelenqual um ihre Männer bangen, das Verlangen danach haben, all die
Qual der letzten viereinhalbe Jahre auszulöschen in den Herzen derer, mit denen
sie verbunden sind.
Das soll hier mit diesen Worten zum Ausdruck gebracht werden. Wir wollen
unsere Stimme laut ertönen lassen, damit auch die Frauen in den anderen Ländern,
damit die Völker der anderen Länder es hören, dass es deutsche Frauen,
deutsche Männer und Frauen sind, die sich innerlich empören gegen dieses
furchtbare Unrecht, das uns hier geschieht. (Lebhafter Beifall bei den Soz. und
Demokraten. - Zurufe von den Unabhäng. Soz.) Es ist nicht berechtigt, dass man
unsere Volksgenossen uns so lange fernhält. Wir wenden uns auch hier an dieser
Stelle gegen die furchtbare Blockade, die uns auch heute noch und jede Stunde
mit dem Hungertod bedroht. Dieser Hunger, der schon so viele unserer
Volksgenossen dahingerafft hat, weicht auch heute noch nicht von unserer Seite,
trotzdem der Friede vor der Türe stehen sollte und trotzdem der Völkerhass heute schweigen
müsste, und es ist das Furchtbarste, was die Entente sich heute
in dieser Stunde noch zuschulden kommen lässt, dass sie dieses wehrlose
deutsche Volk auch noch weiter dem Hunger überliefert, nachdem sie viereinhalb
Jahre und länger diese Blockade aufrechterhalten hat.
Unter einziger wirtschaftlicher Reichtum ist unsere Arbeitskraft. Nur vermöge
dieser Arbeitskraft und ihrer Anwendung ist es möglich, uns wieder aus diesem
tiefen Elend zu erheben. Aber wenn man uns nicht die Nahrungsmittel und unserer
Industrie nicht die Rohstoffe gibt, wenn man uns nicht in anderer Weise durch
Gewährung von Kredit und anderen Hilfsmitteln entgegenkommt, dann macht man uns
dieses Aufrichten so bitter schwer, und die Völker der ganzen Welt
benachteiligen sich selbst. Denn was ein Volk leistet in der Welt, kommt dem
anderen zugute. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien) Genau so, wie der
einzelne Mensch arbeiten muss, um die Volkskraft zu stärken in dem Lande, dem
er angehört, so sollten auch die Völker zusammenwirken zu ihrem eigenen Wohl
und Besten (Lebhafter Beifall bei den Soz.)